In Erlenbach:

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12einhalb Thesen zum Reformationstag 2019

These 1:
"Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht, tut Buße usw. (Mt 4,17) hat er gewollt, dass das ganz Leben der Gläubigen Buße sein soll." (Martin Luthers erste seiner 95 Thesen). Wir merken und wir bekommen gesagt, dass unsere Art zu leben, den Planeten Erde übermäßig belastet und viele Geschöpfe schädigt: 3 Stichworte: Rasante Klimaerhitzung, enormes Artensterben, Ausbeutung von Rohstoffen. Ein „Weiter so“ schadet und vernichtet.

These 2:
Die erschreckenden Wahrheiten, dokumentiert von vielen seriösen Wissenschaftlern, werden zunehmend geleugnet und abgestritten, um ein „Weiter so“ zu rechtfertigen und um das eigene Verhalten nicht hinterfragen zu müssen. „Sie sagen Friede, Friede und ist doch kein Friede“, beanstandet der Prophet Jeremia (6,14) die Schönredner, die behaupten: „Alles gut, so wie es ist. Alles nicht so schlimm".

These 3:
Weil unsere Wirtschaftslogik auf dem fragwürdigen aber dennoch täglich wiederholten Grundsatz  von “mehr Wachstum ist nötig“ aufgebaut ist, müssen die Bewohner der Erde permanent dazu stimuliert und gereizt werden, immer mehr zu verbrauchen. Wir bräuchten mehrere Erden, wollten alles so gut und bequem leben wie Menschen in den Industrienationen.
Jesus tadelt ein übermäßiges Habenwollen mit den Worten: "Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen. Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" (Mt 6, 19.21).

These 4:
Werbetreibende versuchen, unterschwellig Menschen zu manipulieren, Bedürfnisse zu wecken, Glück zu verschaffen. Gefühle werden subtil fremdbestimmt, um zum Konsumieren zu verführen.
Wir aber wollen uns als aufgeklärte Menschen verstehen: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ (Immanuel Kant). Paulus mahnte: „Prüfet alles und das Gute behaltet“ (1.Thess 5, 21). Wo lernen wir Genügsamkeit? Wer befürwortet Maß halten?

These 5:
Wes Brot ich ess, dess Lied ich sing. Aber die Loyalität darf nicht so weit gehen, dass das kritisches Denken an der Eingangspforte abgelegt wird. Wer widerspruchslos funktionieren muss, wird krank. Wie es ein Streben nach Erfolg gibt, muss es auch kritisches Hinterfragen des Tuns und der Arbeit geben: Ist es noch richtig und recht so? „Selig sind die da hungert nach der Gerechtigkeit. Selig sind die um der Gerechtigkeit will verfolgt werden, ermutigt Jesus in der Bergpredigt (Matthäus 5, 6.9), die Widersprechenden.
 „Nein“ zu sagen, wo es einem notwendig erscheint, ist mutiger und schwieriger und als nur „Ja“ zu sagen.

These 6:
Angesichts der Vernichtung von Lebensräumen auf der ganzen Erde - in den Meeren, auf dem Land und in der Luft - muss es auch Aufgabe aller Religionen sein, mit Menschen Lebensstile einzuüben, sorgsam und genügsam mit den Gütern der guten Schöpfung Gottes umgehen.
Der biblische Auftrag in der ersten Schöpfungserzählung ist heute neu zu bedenken: „Und Gott sprach: lasset uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht“ (1. Mose 1, 28).
Neu gewonnene Grundsätze, die dazu anleiten, die Schöpfung zu bewahren und auch teilweise und zeitweise in Ruhe und Frieden zu lassen, müssen in die heiligen Schriften aufgenommen werden. Wir brauchen ein globales 11. Umwelt-Gebot. Könnte es lauten: „Du sollst nichts verschwenden"?

These 7:
Zur Zeit der ersten Schöpfungserzählung (Gen 1, 1-2,4) bevölkerten wohl nur 200 - 300 Millionen Menschen die Erde. Angesichts von heute bald 8 Milliarden Menschen und mehr muss der Auftrag an den Menschen in der ersten Schöpfungserzählung „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan“ (Gen1,28) in Frage gestellt werden. Nicht eine weitere Vermehrung des Menschen, der die Erde mit Hilfe von Maschinen nach seinen Bedürfnissen umbaut, kann erstrebenswert sein.

These 8:
Wenn du dich mit deinen Sinnen und deinem Verstand in der Natur bewegst und dich unter den freien Himmel legst und dich innerlich öffnest für das Geschenk vielfältigen Lebens und für die berühmte kleine Blume, die nur für dich blüht, dann bekommst du auch die Botschaft zu hören, dich um das Leben um dich herum zu kümmern. „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben das leben will“ (Albert Schweitzer).
Schöpfung zu bewahren und zu erhalten entspringt einem Gefühl der Ehrfurcht vor dem Leben. Sie gilt es, zu lehren und immer wieder zu bedenken - im Privaten und im Öffentlichen. „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel, du hast sie alle weise geordnet und die Erde ist voll deiner Güter" (Psalm 104,24)". Diese innere Haltung sollte uns beim Schaffen nie verloren gehen: Achtung und Mitgefühl für das Leben um dich herum. Wie sorgsam und sorgfältig gehst du mit dem um, was Dir in die Hände kommt? Wieviel Achtung und Respekt bringst du auch dem Leben entgegen, das für dich so anders und dir so fremd ist und auch gut leben will? Nimmst du dir Zeit, um darüber zu staunen, was so ganz ohne deinen Willen lebt und dein Leben erst möglich macht? Nimmst du dir auch manchmal vor, still und leise über die Erde zu gehen und die Anderen in Ruhe und in Frieden zu lassen? Einfach nur mal schauen und staunen und dann „danke sehr“ sagen.

These 9:
Angesichts der Fülle an Informationen und Wissen, das uns heute jederzeit im Internet und in Büchern zur Verfügung steht, können wir die Folgen unseres Tuns abschätzen. Wir dürfen davor nicht die Augen und Ohren und Verstand verschließen und uns ahnungslos stellen. „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient dem Guten“ (1. Kor 6,12), so formuliert Paulus die Spannung zwischen Freiheit und Verantwortung. Ein unangenehmer Zustand. Die zweite Schöpfungserzählung sagt: Weil die Menschen vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, wissen sie um gut und böse.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen“. Diese Aufforderung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist um einen respektvollen Umgang mit der Natur zu erweitern.

These 10:
Angesichts der globalen, Länder und Kontinente übergreifenden Probleme, erscheint der Beitrag einer einzelnen Person fast verschwindend gering. Eine afrikanische Weisheit sagt: "Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern“ - zum Guten und zum Verderblichen hin. Es kommt immer auf dich, den einzelnen, an.

These 11:
Was künftig zu tun und zu lassen sein soll, muss in einer offenen Gesellschaft miteinander ausgehandelt und besprochen werden im gleichberechtigen, respektvollen Hören aufeinander. „Es sind verschiedene Gaben, es ist aber ein Geist“ (1Kor 12, 4). Andere Meinungen und Argumente müssen ausgehalten und bedacht werden. Die Weisheit der Ojibwa-Indianer, die auch in unserem Gesangbuch aufgenommen wurde, lautet unter anderem: „Danke Gott für alle seine Gaben. Achte das Leben in allen seinen Formen. Sei friedfertig. Durch Friedfertigkeit gelangst du zum Frieden mit dir. Sei mutig. Mut lässt alle guten Kräfte wachsen. Sei maßvoll. Sieh hin, hör zu und denken nach, dann wird alles, was du tust sinnvoll sein“.   

These 12:
Je größer der materielle Wohlstand,
desto größer der materielle Güterverbrauch,
und desto größer die Verantwortung.
Das gilt für einzelne Personen, für Firmen und Institutionen, für Nationen und Volkswirtschaften.
"Wem viel gegeben, bei dem wird man viel suchen, und wem viel anvertraut ist, vom dem wird man umso mehr fordern" (Lukasevangelium 12,48).

These 12 ½:
"Wir müssen, wir wollen und wir werden", hörte ich einen Klimawissenschaftler sagen. Ich weiß nicht, ob wir mit Verstand und Vernunft, mit Disziplin und Maßhalten, mit Anreizen und Verboten, mit Herz und Leidenschaft, das vielfältige Leben bewahren werden oder ob erst unheilvolle Katastrophen uns zum Umdenken und zur Verhaltensänderung zwingen? Ich befürchte, dass der Mensch nur durch Schaden klug wird.
Aber ich will bei allem Zweifel die Zuversicht nicht aufgeben: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,7).