In Erlenbach:

die allerschönste Christuskirche

weit und breit

Nicht mehr so weiter wie bisher - dank Gnade

Weihnachen 2012

Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt. (Johannesevangelium 1, 16.17)
Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Klingt schön. Alles ist gut, alles wird gut. Es wird vergeben.
Aber zuvor kommt die Staatsanwaltschaft mit vielen Polizeiautos und 500 Beamten und untersuchen die Büros eines scheinbar renommierten Finanzunternehmens und lassen erst mal keine Gnade walten. Gut so? Gut so. „Was hätten die alles zu beichten?“ fragt sich mancher.
Nur die? Müsste nicht auch ähnlich wie bei Zigaretten auf allen Autos und Flugzeugen ein Aufkleber sein: Vorsicht, der Betrieb schadet dem Weltklima. Lieber nicht. Mag ja richtig sein, aber schadet dann doch eher. In Krankenhäusern und Arztpraxen werden wohl oft Menschen so behandelt, dass es  betriebswirtschaftlich von Nutzen ist – und bestenfalls den Patienten nicht schadet. Die Haselnüsse für die Weihnachtsbäckerei werden auf Plantagen in der Türkei mit viel Spritzmitteln angebaut, die Arbeiter sind kaum geschützt.
Manche seltenen Zutaten in den Handys werden mit viel Gewalt und menschenunwürdig aus der Erde gebuddelt und von Kriegstreibern vertrieben. Und was Ihr in euren Berufen tut, dient das  zuerst der Zufriedenheit der Kunden, dem Wohl der Welt? Unter menschen- und lebensunwürdigen Bedingungen wird Kleidung und die Nahrung hergestellt, die wir tagtäglich ge- und verbrauchen. Wir wissen es. Jeder hat so sein Thema, dass ihn empört und schmerzt und das Gewissen in Unruhe versetzt.
Beichten müssten viele, wenn nicht gar alle. Sehr, sehr unangenehm - die Wahrheit.  Und das an Weihnachten? Aber das ist der Grundgedanken an Weihnachten: Das Wort ward Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Wahrheit dort - wo Lüge, Betrug und Täuschung ist, auch dort wo man sich selbst was vormacht und sich etwas in die Tasche lügt. Gnade dort – wo Schuld und Vergehen sind, sei es strafrechtlicher oder moralischer Art.
Gnade dort – wo Menschen einander etwas zuleide tun und der Schöpfung, den Tieren und Pflanzen und Böden.  
„Wir wollen nicht einfach so weitermachen, wie bisher. Es wird Zeit dauern und Rückschläge und Enttäuschungen geben.“  Dieser Umkehrgedanke kommt nicht aus der Kirche, sondern der Zentrale einer großen, anderen Bank. „Die Zufriedenheit der Kunden ist wichtiger, als der nächste Deal und die nächste Provision.“  Eine Selbstverpflichtung, an der sie sich messen lassen wird und will. 
„Wir wollen nicht einfach so weitermachen, wie bisher.“ Das ist ein mutiger Satz, egal von wem er ehrlich und aus der Tiefe des Herzens gesagt wird. Es ist ein Satz, der einen Anfang eines Weges markiert, von dem man nicht weiß, wohin er führt und wie mühsam er wird, was er bewirken und verändern wird.
Wir wollen nicht einfach so weitermachen wie bisher -  da müssen dann Denkgewohnheiten und Selbstverständlichkeiten verabschiedet werden. Bisherige Wegbegleiter werden irritiert sein, und aus Verunsicherung mit Häme und Spott reagieren: „Schafft ihr, schaffst du doch nicht.“  Die Gegenkräfte zu Wahrheit und Gnade – Lüge und Vergehen, ist Teil dieser Welt, ist in uns – über alle Generationen hinweg, seit Adam und Eva, Kain und Abel. Dort, wo Gewinn und Rendite, wo der nächste Deal und die nächste Provision eine hohe Wertigkeit haben, dort haben Wahrheit und Gnade es schwer.
Im Matthäusevangelium hören wir es konzentriert: „Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.“
Nicht mehr einfach so weitermachen wie bisher. Es ist ein Unterschied, ob man das selbst „will“ oder „soll“. Es ist ein Unterschied, ob man es von innen heraus selbst will oder ob es von außen aufgetragen, aufgezwungen wird. Der Täufer Johannes  erscheint manchmal als ein radikaler Gerichtsprediger in der Wüste. Er hat sich von der schlechten, bösen Welt distanziert, lebt asketisch von Heuschrecken und wildem Honig und mit einem Mantel aus Kamelhaar. Es herrscht zu seiner Zeit ein apokalyptisches Lebensgefühl, Weltuntergangsstimmung. Er predigt: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum: jeder Baum, der nicht gut Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen."
Das Böse und die Bösen sollen ausgerottet werden? Wer soll Ankläger und wer Vollstrecker sein? Das klingt wie religiös-politischer Fundamentalismus, potentiell unbarmherzig und gnadenlos. Auch Jesus ist ein apokalyptischer Umkehrprediger: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium, die gute Botschaft." Aber er will die Sünder nicht ausrotten. Wer würde es überleben? „Niemand ist gut als Gott allein“, so hören wir ihn sagen. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.“  „Zieh zuerst den Balken aus deinem Augen, danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.“
Wir denken an die Berufung des Zöllners Matthäus und das Mahl mit den Zöllnern: Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.
Nicht mit Gewalt das Böse auszurotten versuchen, sondern es zum Guten hin zu heilen! – Das ist die gute Botschaft, das Evangelium:  Auf das Gute im Menschen zu setzen, auf die Kraft der Vernunft und der Worte und der Wahrheit.
Ein Mensch, der nach der Wahrheit strebt, kann nicht auf Dauer gewaltsam bleiben (Mahatma Ghandi). Ein Mensch, der nach Wahrheit strebt, kann nicht rücksichtslos bleiben.
Sich verwandeln, innerlich umkehren - „Ich will wirklich und von Herzen nicht mehr so weitermachen wie bisher“ - das geschieht nur in einer Atmosphäre der Gnade, des Wohlwollens, wo man einem anderen und sich selbst nichts mehr vorzumachen braucht, wo Wahrheit leben darf.
Wo Gnade lebt, ist wahres Leben und entsteht gutes Leben. 
„Es braucht immer wieder heilsamen Druck, damit die Dinge vorankommen“, sagt der Bankenchef, der nicht mehr so weitermachen will wie bisher. Es ist an der Zeit, dass wir uns wieder vor allem in der Wahrheit üben und uns gegenseitig hinterfragen und voranbringen, heilsamen Druck aufeinander ausüben - letztendlich im Geist der Gnade, von der wir alle genommen haben, ohne die auch kein gutes Leben möglich ist. 

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.