In Erlenbach:

die allerschönste Christuskirche

weit und breit

Mitleiden - und du wirst ein Segen werden

Die Predigt zum Hören.

Die Predigt zum Sehen und Hören (auf youtube hinterlegt). Die Musik spielt Rainer Siebel. Die Bilder befinden sich in der Johanneskirche in Neckarsulm.

Predigt zu Karfreitag und der Auferstehung 2021

Sie gehen dorthin, wo’s weht tut, und wissen, sie können nichts mehr ausrichten, als nur noch dabei sein und nur noch mit ansehen: Maria von Magdala. Maria, die Mutter von Jakobus und Salome und viele andere Frauen, die mit ihm zusammen waren, dem wohl berühmtesten Gewaltopfer der Geschichte: Jesus von Nazareth.
Die Frauen schauen von ferne - zu der brutalen Hinrichtung, der Kreuzigung und können nichts machen. Jesus wird es bald geschafft und hinter sich gebracht haben, aber sie werden und sie müssen damit leben, weiterleben.
„Den eigenen Tod, den stirbt man nur, den Tod der anderen muss man leiden“ (Mascha Kaléko)

Sie gehen dorthin, wo‘s weh tut und wissen, sie können nichts mehr ausrichten als nur noch dabei sein und später dann erzählen, was geschehen ist.
Auch Reporter in Kriegs- und Krisengebieten, Journalisten, die Opfer zu Wort kommen lassen, ihre Geschichten in die Welt bringen, und zunehmend auch Menschen mit einem Handy, die draufhalten, wenn brutale Staatsmächte friedliche Demonstranten prügeln, inhaftieren, in Gefängnisse stecken, foltern, hinrichten, damit das Volk eingeschüchtert und still werden soll.
Karfreitag in der Welt: Jerusalem vor 2000 Jahren, heute Myanmar, Belarus, Hongkong, Iran, Irak, China. Wir hören davon in den Nachrichten. Kennst du Personen aus dem einen oder anderen Land - geht‘s dir nahe, ansonsten ist es doch weit weg.
Und man hat ja auch noch genug mit sich selbst und seinen eigenen Problemen zu tun. Was kann man da auch schon tun?

Die Frauen können ja auch nichts tun, als „nur“ dabei sein und mitansehen und aushalten – sprachlos.
Als der geschundene Leichnam des gekreuzigten Jesus freigegeben und einem gewissen Josef von Arimathäa übergeben wird, der den Körper in ein Leinentuch wickelt und in ein Felsengrab bringt, beobachten die Frauen, wo er hingelegt wird.
Man will immer wissen, wo der oder die Verstorbene ist, damit die Seele doch noch, später irgendwie zur Ruhe kommen kann.
Die Frauen wollen ihren Jesus, ihren Freund und Heiland, das blutverschmierte Opfer waschen, ihn einbalsamieren, wieder schön zurecht machen, der ihnen soviel Schönes und Gutes getan und gesagt hat.
Die Soldaten haben ihn wie Dreck behandelt, sie wollen ihn als ihren Liebling und Gottesgeschenk für die Welt behandeln; sie wollen zurückgeben, was er ihnen gegeben hat.
Der letzte Dienst: eine würdige Bestattung, den Freund, den Göttlichen, noch ein letztes Mal berühren, schön herrichten, und so schlimme Trauer loswerden und schöne Erinnerungen lebendig halten, das gemeinsame Leben und die Wege nochmals durchgehen. Es war einmal.

Sie gehen dorthin, wo‘s weh tut und wissen, sie können nichts mehr ausrichten, als nur noch dabei sein und später erzählen, was geschehen ist.

Das alte, traurig klingende Kirchenlied ist zu hören: „Oh Haupt voll Blut und Wunden“. Es besingt anschaulich Jesu Qualen und Verletzungen, wie auch die Erzählungen in den Evangelien die letzten Stunden Jesu ausführlich erzählen, und wie es Kriegs und Krisen-Reporter immer noch tun. Sie wollen und müssen ungeschönt berichten von der brutalen, abschreckenden Gewalt einerseits und den hilflos zugerichteten Leidenden andererseits.

O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn.
O Haupt zum Spott gebunden,
mit einer Dornenkron,
o Haupt sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret;
gegrüßest seist du mir!
Wie bist du so bespeit,
wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht?

Wir hier leben schon lange nicht mehr in solch gewaltsamen Zuständen, und ich will auch nicht weiter auf das Leid anderswo in der Welt eingehen, sondern mich wieder den Frauen zuwenden und ihrer Stärke.

Sie gehen dorthin, wo’s weht tut, und wissen, sie können erst mal nichts ausrichten. Ein schlimmes Gefühl: nichts machen, nicht helfen können, wenn ein Mensch in deiner Gegenwart leidet, Qualen durchlebt oder gar elend stirbt.
Man möchte nicht dabei sein müssen, weg sein wollen, nicht der Hilflosigkeit, Sprachlosigkeit und Schwäche ausgeliefert sein müssen.
Und doch kann es das einzige sein, was du für eine andere Person in diesen Momenten tun kannst. Nicht immer, aber wenn du mal gefordert sein wirst: Hinsehen, hinhören, das Leid des anderen auch in dir spüren.
Es wird dich erst schwächen und dann stärken, es wird dich empfindlicher stimmen, es wird dich protestieren lassen, wenn du dann wieder irgendwie, irgendwo Unrecht und Leid miterleben wirst.
Du wirst ein Segen werden und wirst ein Segen sein.   


„Wo ist Gott?“ wenn es scheinbar keine Macht der Welt gibt, dem Schrecken und dem Terror eine Ende zu setzen?
Verkörpern aber die Frauen Göttliches, ist in ihnen und durch sie Gott da, da sie nicht weichen, nicht weggehen, weil‘s unerträglich ist, sondern hingehen, sehen und vielleicht doch auch gesehen und gespürt werden. Wenn sie doch da sind und da bleiben, ist es nicht mehr ganz so schlimm, gar erträglich.   

Die Frauen sind da, wo‘s weh tut.   
Ist Gott auch da, wo’s weh tut und Menschen fragen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Die Geschichte der Frauen geht ja geheimnisvoll weiter.  Rebellisch? Widerständisch? Spöttisch? „Ihr Soldaten, ihr brutalen Herrscher, ihr wolltet Jesus töten, aber ihr habt ihn nicht totgekriegt. Er ist auferstanden. Ihr denkt, ihr habt die Sache zu Ende gebracht? Wir aber sagen, die Sache geht weiter. Ihr habt die stärkeren totbringenden Waffen, aber wir haben die stärkeren, lebensschaffenden Worte. Nicht ihr habt das letzte Wort. Wir erzählen weiter von eurer Brutalität und unserem Heiland. So ist es. So bleibt es. So machen wir weiter, mal traurig, mal befreit.

Amen