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Predigt zum Konflikt zwischen Israel und den Palästiensern.

                                                                         (30. Juli 2014)

Gnade sei mit euch und Friede. Amen.
Es herrscht gerade nicht unbedingt Friede im Gazastreifen und Israel, aber zumindest Waffenstillstand. Die Geschehnisse dort erhitzen immer die Gemüter der halben Welt.
Sieht man die Bilder von verängstigten, verletzten und getöteten Menschen,
sieht man die Wut und Trauer und den Hass,
hört man vom kalten-militärischen Kalkül der Militärs,
bedenkt man die lange Geschichte der Gewalt und Vergeltung, aufgeladen von religiös-politischem Eifer,
ist man sich bewusst, dass durch das menschenverachtende Programm der Judenvertreibung und –vernichtung in Nazi-Deutschland viele Probleme dort ihre Ursachen haben,
dann breitet sich Ratlosigkeit aus. Was tun? Was kann helfen und nützlich sein?
Ich klage, aber ich will nicht hilflos jammern, denn ich habe in dem biblischen Text für den Israelsonntag, einem Bußgebet Daniels, einen möglichen Weg gefunden – für die großen politischen und die kleinen persönlichen Konflikte.

Predigt:
In den vergangenen Wochen wird viel diskutiert, wie man mit dem Konflikt in Gaza und Israel umgehen kann. Wie, dass wenn nicht unbedingt Frieden, dann doch zumindest Ruhe einkehren kann.
Palästina, Israel ist kein friedliches Gebiet, sondern seit Jahrtausenden umstritten und umkämpft, immer wieder von verschiedenen Großmächten besetzt und geplündert. In den Zeiten fürchterlichen Antisemitismus in Europa vor mehr als 100 Jahren und ganz besonders in den Zeiten der Diktaturen Hitlers und Stalins haben Juden nach einer sicheren Wohnstätte gesucht und sich wieder, wie nach der Flucht aus Ägypten unter Mose und Josua, Land, ihr Land in Palästina, in Israel genommen, auf dem Jahrhunderte lang andere, Araber, lebten und sie haben einen Staat errichtet und gewaltsam verteidigt,
•    gebaut auf traumatischen, angstvollen Erfahrungen von Verfolgung und Vernichtung,
•    gebaut auf alten biblischen Traditionen und Ansprüchen,
•    gebaut auf der Sehnsucht, endlich ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit zu führen.
Die Bevölkerung Israels aber ist immer noch umgeben von bedrohlichen, feindlich gesinnten Nachbarn, die aber gerade selbst mit sich zu tun haben.

Wir wissen um den andauernden Siedlungsbau auf Palästinensergebiet mit willkürlichen Enteignungen und der  Kontrolle über das lebensnotwendige Wasser des Jordan.

Es ist ein Gebiet mit vielen, vielen  Geschichten des Unrechts und der Vergeltungen, die immer auch neues Unrecht und neue Gewalt schaffen. 

Wie soll man eine Position beziehen? Bedenken wir:
•    Nazi-Deutschland und die verachtende Ermordung von Millionen von Juden hat einen gewaltig großen Anteil an dem Gewaltpotenzial dort. Juden flüchteten von hier und vertrieben dort dann die muslimischen Palästinenser.
•    Es wirken im Bewusstsein der Araber auch noch die Kreuzzüge des „christlichen“ Abendlandes nach, mit dem Ziel, das Heilige Land von den ungläubigen Muslimen zu befreien, was in Gewaltorgien ausgeartet ist, wo gemordet und geplündert wurde – wahllos.
•    Bedenken wir, dass das Christentum, aus jüdischer Sicht eine Splittergruppe und Sekte, die sich auf den Juden Jesus bezieht, aber in ihren heiligen Schriften Pharisäer stereotyp verachtet und alle jüdischen Führer für den Tod Jesu verantwortlich macht.
•    Die Heiligen Schriften der Juden, nennen wir das „Alte“ Testament, begrifflich schon eine Abwertung, und haben sie in christlichen Besitz genommen und umgedeutet.
•    Luther, die Gründergestalt der Evangelischen Kirche, sah in den Juden Gotteslästerer und  forderte, die Synagogen zu verbrennen, die Häuser der Juden zu zerstören, der Talmud und die Gebetbücher sollten konfisziert,  Rabbinern das Lehren verboten werden. Juden sollte der Geleitschutz entzogen, ihr Eigentum eingezogen werden uns sie sollten bei Christen zwangsweise arbeiten.  

Oh je. Wie soll man da, jetzt und heute, als christlich-evangelischer Deutscher und Europäer mit einem Packen jahrhundertealter kultureller, religiöser, politischer Gewaltkultur gegenüber Juden und auch Muslimen eine Position beziehen? Raushalten? Ermahnen? Vermitteln? Waffen, Zäune, Medikamente, Baumaterial liefern?

Kann der Text für den Israelsonntag weiterhelfen?
Daniel: 9, 15-19.

Und nun, Herr, unser Gott, der du dein Volk aus Ägyptenland geführt hast mit starker Hand und hast dir einen Namen gemacht, so wie es heute ist: wir haben gesündigt, wir sind gottlos gewesen. Ach Herr, um aller deiner Gerechtigkeit willen wende ab deinen Zorn und Grimm von deiner Stadt Jerusalem und deinem heiligen Berg. Denn wegen unserer Sünden und wegen der Missetaten unserer Väter trägt Jerusalem und dein Volk Schmach bei allen, die um uns her wohnen. Und nun, unser Gott, höre das Gebet deines Knechtes und sein Flehen. Lass leuchten dein Antlitz über dein zerstörtes Heiligtum um deinetwillen, Herr! Neige dein Ohr, mein Gott, und höre, tu deine Augen auf und sieh an unsere Trümmer und die Stadt, die nach deinem Namen genannt ist. Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit. Ach Herr, höre! Ach Herr, sei gnädig! Ach Herr, merk auf! Tu es und säume nicht – um deinetwillen, mein Gott! Denn deine Stadt und dein Volk ist nach deinem Namen genannt.

Das Buch Daniel ist entstanden in Zeiten großer Bedrängnis, in Zeiten der Makkabäeraufstände. Das Volk litt unter furchtbaren, gnadenlosen Unterdrückern der Seleukiden, Nachfahren des griechischen Feldherren Alexander des Großen, die das Gebiet mit Gewalt kulturell völlig griechisch-hellenistisch umprägen wollten. Jerusalem wurde erobert, die Mauern geschleift, der Tempel geplündert, aus dem Brandopferaltar ein Altar für Zeus errichtet; im Zentrum der Stadt wurde eine Burg für die fremden und feindlichen Soldaten errichtet. Die jüdische Religion und Kultur war bei Todesstrafe ganz und gar verboten.
Die kleine reiche jüdische Oberschicht, in sich auch wieder in zwei rivalisierende Gruppen gespalten, diente sich den neuen Machthabern an, ließ sich von ihnen die gewünschten Hohenpriester einsetzten und die unerwünschten wieder absetzen. Sie boten den Besatzern hohe Steuern an, die aus dem Volk herausgepresst werden mussten, sympathisierten mit der griechischen Art zu leben; selbst Priester besuchten wohl lieber die Wettkämpfe der nackten Gladiatoren in den Stadien, als dass sie ihren Dienst im Tempel versahen.
Das erregte natürlich Wut und Zorn in der breiten ärmlichen jüdischen Bevölkerung, die bei ihren traditionellen Riten und Gebräuchen bleiben wollte und sich verraten und verkauft fühlte, bis es dann zu gewaltsamen und auch erfolgreichen Aufständen der Makkabäer gegen die Besatzer kam.

Das Buch Daniel ermahnt und ermuntert über weite Strecken die bedrängten Gläubigen durchzuhalten: in ein paar Jahren wird auch dieses Gewaltregime zu Grunde gehen.
Daniel in der Löwengrube, Daniel im Feuerofen – man kennt die Geschichten, soll heißen: dem treuen Gottesfürchtigen wird auch Folter und Terror nichts anhaben.
In dem Buch des Propheten Daniel findet sich aber auch jenes Bußgebet:
„Ach Herr, um aller deiner Gerechtigkeit willen, wende ab deinen Zorn und Grimm von deiner Stadt Jerusalem und deinem heiligen Berg. Denn wegen unserer Sünden und wegen der Missetaten unserer Väter trägt Jerusalem Schmach bei allen, die um uns her wohnen“.
Die Bedrückung wird als Zorn Gottes und Strafe empfunden und gewertet. So denkt man heute nicht mehr. Heute wird Aggression von außen als Terror betrachtet von bösen, fanatischen, fehlgeleiteten Feinden, die nur eine Sprache kennen, die der Gewalt bzw. Gegengewalt. In den großen politischen und den kleinen persönlichen Konflikten heißt es oft: Der und der ist schuld, um dann die Vergeltung und Rache zu legitimieren und um einen halbwegs gerechten Klein- oder Großkrieg führen zu dürfen.
Das Gebet Daniels spricht eine andere Sprache: ‚Wir haben uns in der Vergangenheit falsch verhalten, dass es soweit kommen konnte‘.
Die Stimmen derer, die selbstkritisch auf die eigene Unrechts- und Gewaltgeschichte blicken, sind eher leise und stören natürlich die Propaganda, wenn man sich kollektiv auf einen Feind eingeschossen hat und die Schuld nur beim anderen finden will.
 
Zurück zur Ausgangsfrage: Wie soll man im aktuellen Konflikt eine Position beziehen? Auch die eines Seelsorgers, der die Streitenden fragt: „Sag mir bitte, um des Friedens Willen: Was könnte denn dein Anteil am Konflikt sein?“ Eine öffnende Frage, gestellt nicht als Richter, sondern als Helfer, um aus der Logik: Auge um Auge, Zahn um Zahn, herauszukommen. Nur mit einem selbstkritischen Blick gelingt im Streit eine Annäherung. Wer in einer verfahrenen Lage auch beichten kann und will, findet neue Wege und Zugänge zu Feinden – psychologisch und politisch.

In Konflikten ist es deshalb wichtig, gar nötig, dass sich auch kritische Psychologen, Philosophen und Theologen einmischen und die untergründigen, seelischen und religiösen Kräfte analysieren, offenlegen und bewusstmachen, um aus einer zwanghaften Verdrängung der Schuld und Wiederholung der Gewalt herauszukommen. 
Deutschland hat sich nach dem 2. Weltkrieg und den Verbrechen durch die Frage nach den Gründen und Ursachen hindurchgequält, aufgezwungen durch die Nürnberger Prozesse der Alliierten gegen die maßgeblichen Kriegsverbrecher aber später denn auch mit Hilfe von Soziologen, Psychologen und Therapeuten: Horst-Eberhard Richter, Alexander Mitscherlich, Theodor Adorno, Max Horkheimer und andere wollten zum Verstehen beitragen und natürlich auch verhindern, dass sich ‚so etwas Böses‘ wiederholt.
In unserem Gesangbuch finden wir das Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche vom Oktober 1945, das erst wieder den Zugang in die Weltgemeinschaft geöffnet hat: „Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Wir klagen uns an, dass wir nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. Wir hoffen zu Gott, dass durch den gemeinsamen Dienst der Kirche der Geist der Gewalt und der Vergeltung, der heute von neuem mächtig werden will, in aller Welt gesteuert werde und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft kommt, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann.“

Friedensbemühungen sind nicht nur eine Angelegenheit von Offizieren und Politikern und Anklägern, sondern müssen auch begleitet werden von Therapeuten und Seelsorgern.

Auf dem Weg zum Frieden müssen, müssten, Reden zu Krieg und Frieden - von wem auch immer - immer auch einen Passus enthalten wie:
„Ich bekenne ….“
„Wir gestehen ein ….“
„Selbstkritisch muss ich auch erkennen ……“ 
Wo diese Gedankenversuche fehlen, wird nur die halbe Wahrheit gesagt. Es bleibt dann bei einer selbstherrlichen Propaganda und Selbstrechtfertigung; die teuflische Logik der gewaltsamen Vergeltung trägt dann wieder einen Sieg davon.