In Erlenbach:

die allerschönste Christuskirche

weit und breit

Buß und Bettag - Das Herz nicht hassen lassen


Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.  Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?
Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!
(Lukasevangelium 6, 36-38.41-42)

Vor ein paar Tagen war ich als Islambeauftragter des Kirchenbezirkes Neuenstadt mit anderen Islambeauftragten der Landeskirche zusammen. Es war aus dem  Staatsministerium Dr. Michael Blume zu Gast. Er ist damit beauftragt, 1000 traumatisierte, vergewaltigte, vor allem jesidische und auch christliche Frauen und Kinder im Nordirak aus der Gewaltherrschaft des IS heraus nach Baden-Württemberg zu holen. Dazu hat sich die Landesregierung verpflichtet. Er erzählte von der Lage vor Ort, was einen erstmal nur traurig macht.
Er erzählte auch von der Situation in den Lagern, meist helfen dort Muslime Muslimen, Christen Christen und Jesiden Jesiden.
In den von internationalen Hilfsorganisationen betreuten Lagern aber gilt die Hilfe allen gleichermaßen, wobei die Konflikte untereinander in den Lagern auch dort weitergehen.
Wir bekamen bei dem Treffen zu hören, wie verwundert geflohene Muslime sind, hier wohlwollend von Christen aufgenommen zu werden und versorgt zu werden.  Ungewohnt. Wir hörten auch von dem Ärger der Muslime über Saudi-Arabien, wie wenig Hilfe für die eigentlichen Glaubensbrüder angeboten wird. 

Kennen Sie die Ringparabel von Gotthold Ephraim Lessing in seinem Stück 'Nathan der Weise'? Die Religionsvertreter streiten darüber: Wer hat denn nun den wahren Ring? Wer ist die wahre Religion? Sie treten vor den weisen Richter Nathan:

NATHAN. Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt: 
Geht nur! - Mein Rat ist aber der: Ihr nehmt die Sache völlig wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring
den echten. - Möglich; dass der Vater nun
die Tyrannei des einen Rings nicht länger
in seinem Hause dulden wollen! - Und gewiss; dass er euch alle drei geliebt, und gleich geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, um einen zu begünstigen. - Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf'!
Und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euern Kindes-Kindeskindern äußern: So lad ich über tausend tausend Jahre sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen als ich; und sprechen. Geht! - So sagte der bescheidne Richter. 

Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf'!

"Es macht keine Freude, morgens die Mails aufzumachen", sagte Dr. Blume. Eine unglaubliche Welle von Hass komme ihm entgegen. Es geht wohl nicht nur ihm so. Bestimmen bald Hass und Unbarmherzigkeit das Klima hier?
Die Flüchtlingshelfer im Ort hier können von guten Begegnungen erzählen zu den wenigen Familien. Sie geben Nachhilfe, übersetzen Behördenschreiben, besuchen die Familien, helfen bei Berufsorientierung, begleiten zu Ärzten. Alle machen gute Erfahrungen. Der Dorfpolizist meint auch: Keine Probleme, null komma null.
Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus. Noch einmal Dr. Blume: "Freundlichkeit und Barmherzigkeit hilft vor Radikalisierung".

Viele sind verunsichert, das verstehe ich. Aber Verunsicherung muss nicht in Ablehnung, in Gewalt oder gar Hass umschlagen. Warum denn? Gibt es dafür einen konkreten Grund? Zur Verunsicherung, wie es weitergeht, kommt nun die Verunsicherung durch die Anschläge in Paris hinzu.
Bitte, kommt wieder zur Ruhe. Seid traurig über die Opfer, vielleicht könnt ihr auch traurig sein über die verrohte Gewalt und der fehlgeleiteten Attentäter.

Ihnen konnte man den Hass eintrichtern, auch weil die westlichen Länder in den Ölstaaten als Kolonialmächte auftreten und so tun, als gehören die Rohstoffe selbstverständlich in Industrienationen geliefert, in unsere Tanks; weil Diktatoren und fundamentalistische Staaten solange unterstützt werden, wie sie dem Westen genehm sind; weil der Westen über das Wohl und Wehe von Regierungen in anderen Teilen der Welt bestimmt; weil durch die Kriege und die Sanktionen in der Region dort Millionen von Menschen ums Leben kamen und dem Westen es 'wert' war, weil Frankreich in Nordafrika Kolonien hatte und dort auch fürchterliche Massaker verübt und Kriege geführt hat; aufgearbeitet ist die Geschichte nicht; weil der Islam fast durchweg abschätzig betrachtet wird, weil in Frankreich viele Migranten in ärmlichen Vororten und Ghettos aufwachsen und arbeits- und perspektivlos sind, weil der Glaube an den allmächtigen Gott abgelöst wird vom Glauben an den allmächtigen Markt, weil wir anderen die Meere leerfischen, sie mit unseren billigen Agrarüberschüssen überschwemmen und den Rest der Welt oft nur als Absatzmarkt betrachten. Man könnte noch lange weitermachen. Werte des Westens?
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – gelten die Werte wirklich für alle im Lande und hierzulande? Nein. Menschen fragen nach dem „Warum?“ der Anschläge. Es gibt Erklärungen.

Nicht nur die anderen sind verblendet, auch wir wollen vieles nicht recht sehen und nicht recht wahrhaben. Da ist viel Heuchelei zu finden; hier wie dort. Immer findet man Argumente und Rechtfertigungen für das, was man tut;  Rechtfertigungen für Gewalt, Massaker, Folter, Hinrichtungen, Anschläge und Gegenschläge.    
Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Die Terrorattacken sollen auch spalten, mit der Erwartung, dass eine Art Hass auf den Islam wächst und der sogenannte Islamische Staat dann ein Sammlungsbecken der Gedemütigten werden kann, für die sie dann die Schutzmacht übernehmen und ihren Einfluß ausbauen. 

Deshalb: Ruhe bewahren, das Herz nicht hassen lassen. Die Behörden und Sicherheitskräfte ihre Arbeit machen lassen. Aufpassen, wenn jetzt wieder zu einem neuen Krieg und Feldzug geblasen wird und man ihn damit schönredet: „Wir müssen Verantwortung übernehmen“. 

Barmherzigkeit gegenüber denen zeigen, die hierherkommen und die auch vor dem Terror geflohen sind, ist eine gute Antwort. Muslimen Glauben schenken, wenn sie sich wieder einmal rechtfertigen müssen: "Nein, sie sprechen und bomben nicht in unserem Namen. Deren Handeln ist gotteslästerlich". Ein ständiges „Ja, aber“ gegenüber Muslimen zermürbt. Mehr Vertrauen und Achtung und weniger Misstrauen und Missachtung täte gut. 

In einer Woche, am Donnerstag um 18.30 Uhr, ist die Bürgerinfoversammlung zur Ankunft und Aufnahme von Flüchtlingen hier im Ort. Nicht nur ich bin etwas angespannt. Wie wird sie verlaufen? Was wird zu hören sein?
Ich bitte Sie, zu kommen und mit guten Gedanken und guten Wünschen dabei zu sein, auch das ist ein wichtiger Beitrag.
Ich bitte Sie, zu widersprechen, wenn es in Gesprächsrunden widerlich und hässlich zugeht.
Ich bitte Sie um Respekt und Nachsicht. Denn nicht nur wir sind verunsichert, was wird. Die da kommen sind es noch viel, viel mehr.